Veröffentlicht am 30. August 2021 |

Das revidierte Erbrecht gibt Erblassern ab 2023 mehr Verfügungsspielraum

Mit dem neuen Erbrecht soll den gesellschaftlichen Realitäten besser Rechnung getragen werden. Insbesondere erhalten Erblasser, die Nachkommen haben, mehr Selbstbestimmung. Nach dem revidierten Erbrecht können diese Erblasser ihren faktischen Lebenspartnern und Lebenspartnerinnen einen wesentlich grösseren Teil ihres Vermögens vermachen als nach derzeitiger Rechtslage.

 

Die Erbrechtsrevision soll in drei Teilen erfolgen. Der erste Teil des neuen Erbrechts wird ab 2023 gelten und wird insbesondere den Pflichtteil der Nachkommen reduzieren sowie denjenigen der Eltern abschaffen. Die Höhe der gesetzlichen Erbansprüche bleibt unberührt. Der zweite Teil der Revision des Erbrechts soll Erleichterungen bei der Unternehmensnachfolge bringen. Und der dritte Teil soll technische Punkte klären.

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Änderungen im Pflichtteilsrecht

Eine der grundlegendsten Änderungen durch das revidierte Erbrecht ist die Höhe des Pflichtteils. Konnten Erblasser bislang nur über drei Achtel des Nachlasses frei verfügen, sofern es neben den Nachkommen auch noch einen Ehegatten gab, können Erblasser nach dem neuen Erbrecht über die Hälfte des Nachlasses frei verfügen.

 

Wenn nur Nachkommen zu bedenken waren, ohne dass es einen Ehegatten gab, war nach der alten Rechtslage sogar nur ein Viertel des Nachlasses frei verfügbar. Mit dem neuen Erbrecht steht auch in diesen Fällen die Hälfte des Nachlasses zur freien Verfügung. Einem faktischen Lebenspartner oder einer faktischen Lebenspartnerin (nicht verheiratet und keine eingetragene Partnerschaft) können Erblasser nun also doppelt so viel vererben wie zuvor, anstatt diesen Teil den eigenen Kindern geben zu müssen. Beachten Sie aber, dass die Begünstigung von faktischen Lebenspartnern und Lebenspartnerinnen in vielen Kantonen Erbschaftssteuern auslöst.

 

Der neue Verfügungsfreiraum kann natürlich auch zur letztwilligen Vererbung zu Gunsten von Freunden, Institutionen oder etwa von Stiefkindern genutzt werden. Auch diesbezüglich sind aber die anfallenden Erbschaftssteuern zu berücksichtigen.

Die Eltern verlieren ihren Pflichtteilsanspruch ganz. Das fällt besonders bei kinderlosen Konkubinatspaaren und Singles ins Gewicht, da hier nach neuem Erbrecht nun 100 Prozent des Nachlasses frei zur Verfügung stehen.

 

Auch in Bezug auf die Nutzniessung, die dem überlebenden Ehegatten gegenüber den gemeinsamen Nachkommen eingeräumt wird, gibt es Änderungen, etwa die Anpassung des in solchen Fällen verfügbaren Teils des Nachlasses. Mit dem neuen Erbrecht wird die Hälfte vom Nachlass bei Nutzniessung verfügbar sein und nicht ein Viertel, wie es unter der aktuell geltenden Rechtslage geregelt ist. Nach neuem Erbrecht ist die Einräumung der Nutzniessung gegenüber den gemeinsamen Nachkommen auch in Bezug auf den eingetragenen Lebenspartner beziehungsweise die eingetragene Lebenspartnerin möglich.

Verlust des Pflichtteilsanspruchs bei Scheidungsverfahren

Neu wird auch sein, dass im Falle eines hängigen Scheidungsverfahrens zum Zeitpunkt des Todes der überlebende Ehegatte seinen Anspruch auf den Pflichtteil verliert. Allerdings gilt das nur, sofern das Scheidungsverfahren gemeinsam eingeleitet beziehungsweise fortgesetzt wurde oder auf Grund einer Klage zwei Jahre vor dem Versterben des Erblassers eingeleitet worden ist. Existiert kein Testament oder Erbvertrag, behält der überlebende Ehegatte trotz hängigem Scheidungsverfahren den gesetzlichen Erbanspruch, bis ein Scheidungsurteil vorliegt, welches formell rechtskräftig ist.

 

All das gilt auch für ein hängiges Verfahren zur Auflösung der eingetragenen Partnerschaft.

Die neue Regelung zum Scheidungsverfahren beziehungsweise zum Verfahren zur Auflösung der eingetragenen Partnerschaft soll der taktischen Verzögerung dieser Verfahren einen Riegel vorschieben.

Schenkungsverbot bei Erbvertrag

Im neuen Erbrecht 2023 wird es auch ein Schenkungsverbot bei Vorhandensein eines Erbvertrages geben, indem Schenkungen zu Lebzeiten in einer solchen Konstellation anfechtbar werden. Allerdings gilt die Anfechtbarkeit nur unter zwei Bedingungen:

 

– die Schenkung darf nicht mit dem Erbvertrag vereinbar sein, was insbesondere dann der Fall ist, wenn die erbvertraglichen Vorteile verringert werden

 

und

 

– es darf keinen Vorbehalt für die Schenkung im Erbvertrag geben

Unternehmens­nachfolge erleichtert

In der zweiten Etappe der Erbrechtsrevision soll die Unternehmensnachfolge erleichtert werden. Wann der zweite Teil der Revision des Erbrechts erfolgen wird, ist noch nicht entschieden.

 

Bei der Nachfolge in einem Unternehmen besteht zum Beispiel regelmässig die Gefahr, dass es zu Liquiditätsengpässen kommt, wenn derjenige Erbe, der das Unternehmen übernimmt, die Miterben auszahlen muss. Im neuen Erbrecht soll es daher die Möglichkeit für den Unternehmensnachfolger geben, einen Zahlungsaufschub – auch Stundung der Pflichtteile genannt – bei den Miterben zu erhalten.

Inkrafttreten des neuen Erbrechts und Nachlassplanung

Im Mai 2021 hat der Bundesrat entschieden, dass das neue Erbrecht am 1. Januar 2023 in Kraft tritt. Damit wird den Bürgern die Möglichkeit eingeräumt, bestehende Nachlassdokumente – wie Testamente und Erbverträge – in Ruhe an die zukünftige Rechtslage anzupassen.

 

Wenn das bisherige Testament oder der Erbvertrag nicht an das neue Erbrecht angepasst werden und der Erbfall nach dem 31. Dezember 2022 eintritt, wird ab dem 1. Januar 2023 durch Auslegung entschieden werden müssen, was der Erblasser vor dem Hintergrund des ab dann geltenden revidierten Erbrechts gewollt hätte. Wer sicher gehen möchte, dass sein tatsächlicher Wille umgesetzt wird, sollte daher sein Testament beziehungsweise einen etwaigen Erbvertrag vor dem 1. Januar 2023 an die kommende Rechtslage anpassen.

 

Unsere Experten im Erbrecht beraten Sie fachkundig zu Fragen der Nachlassplanung insbesondere vor dem Hintergrund des neuen Erbrechts.

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