Baubewilligungsfreie Bauten und Anlagen im Kanton Bern
Bestimmte Bauten und Anlagen im Kanton Bern, aber auch in den anderen Schweizer Kantonen, sind baubewilligungsfrei. Welche Anlagen und Bauten ohne Baubewilligung errichtet oder geändert werden dürfen, ist jedoch von Kanton zu Kanton unterschiedlich geregelt.
Ob Sie also zum Beispiel einen Autounterstand beziehungsweise Carport ohne Baubewilligung errichten oder ändern dürfen oder einen Sichtschutz, einen Pool, eine Terrassenüberdachung, ein Gartenhaus, Kleinbauten oder andere Bauten beziehungsweise Anlagen baubewilligungsfrei sind, hängt vom kantonalen Recht ab.
Die baubewilligungsfreien Bauten und Anlagen im Kanton Bern stellen wir im folgenden Beitrag vor.
Bauten und Anlagen grundsätzlich nur mit Baubewilligung
In Artikel 22 des Raumplanungsgesetzes (RPG) wird der Grundsatz statuiert, dass Bauten und Anlagen nur mit behördlicher Baubewilligung errichtet oder geändert werden dürfen. Allerdings folgt diesem Grundsatz im anschliessenden Artikel 23 RPG sogleich die Möglichkeit, Ausnahmen von der Baubewilligungspflicht zu gewähren. Innerhalb der Bauzonen sind diese durch das kantonale Recht geregelt. Beim Raumplanungsgesetz handelt es sich um ein Schweizer Bundesgesetz.
Der Kanton Bern hat die Ausnahme von der Bewilligungspflicht in Artikel 1b des kantonalen Baugesetzes des Kantons Bern (BauG) geregelt, wo es zu den baubewilligungsfreien Bauvorhaben heisst:
«Keiner Baubewilligung bedürfen insbesondere der Unterhalt von Bauten und Anlagen, für eine kurze Dauer erstellte Bauten und Anlagen sowie andere geringfügige Bauvorhaben. Im Übrigen bestimmt das Baubewilligungsdekret die baubewilligungsfreien Bauvorhaben.
Die Befreiung von der Baubewilligungspflicht entbindet nicht von der Einhaltung der anwendbaren Vorschriften und der Einholung anderer Bewilligungen.
Stören baubewilligungsfreie Bauten und Anlagen die öffentliche Ordnung (Art. 45 Abs. 2 Bst. c), ordnet die Baupolizeibehörde die erforderlichen baupolizeilichen Massnahmen an, insbesondere im Interesse der Sicherheit und Gesundheit sowie des Ortsbild-, Landschafts- oder Umweltschutzes.»
Näheres zu den bewilligungsfreien Bauvorhaben regelt also das Dekret über das Baubewilligungsverfahren (Baubewilligungsdekret, BewD) des Kantons Bern.
In Artikel 5 BewD heisst es zu den baubewilligungsfreien Bauvorhaben:
«Keiner Baubewilligung bedürfen
a Bauvorhaben, die nach der eidgenössischen Gesetzgebung nicht der kantonalen Bauhoheit unterliegen,
b Bauvorhaben, die durch andere Gesetzgebungen umfassend geregelt sind und deren Bewilligung in einem Verfahren erfolgt, welches die Einsprachemöglichkeit entsprechend der Baugesetzgebung vorsieht.»
In Artikel 6 Absatz 1 BewD werden dann konkrete einzelne Bauvorhaben und in Artikel 6a Absatz 1 BewD konkrete Strassenreklamen aufgelistet, welche baubewilligungsfrei sind – allerdings unter dem Vorbehalt der Regelung in Artikel 7 BewD (siehe unten). Sowohl für die konkreten einzelnen baubewilligungsfreien Bauvorhaben in Artikel 6 Absatz 1 BewD als auch für die baubewilligungsfreien Strassenreklamen in Artikel 6a Absatz 1 BewD gilt gemäss deren jeweiligem Absatz 2, dass auch alle jene Vorhaben baubewilligungsfrei sind, deren Bedeutung gleich oder geringer ist als die im jeweiligen Absatz 1 genannten Vorhaben.
Einzelne baubewilligungsfreie Bauvorhaben gemäss Art. 6 Abs.1 BewD
Gemäss Art. 6 Absatz 1 BewD bedürfen folgende Bauvorhaben keiner Baubewilligung:
- «unbeheizte Bauten mit einer Grundfläche von höchstens zehn Quadratmetern und einer Höhe von höchstens 2,50 Metern, die weder bewohnt sind noch gewerblich genutzt werden und die funktionell zu einer Hauptbaute gehören
- kleine Nebenanlagen wie mobile Einfriedungen, kurze Sichtschutzwände bis zu zwei Metern Höhe, Unterstände bei Haltestellen des öffentlichen Verkehrs, Feuerstellen, auf zwei Seiten offene, ungedeckte Gartensitzplätze, unbeheizte Schwimmbecken bis zu 15 Quadratmeter Fläche, beheizte Schwimmbecken bis zu acht Kubikmeter Inhalt, Pergolen, Gartencheminées, Brunnen, Teiche, künstlerische Plastiken, Sandkästen für Kinder, Gehege oder kleine Ställe für einzelne Kleintiere
- das Unterhalten und Ändern (einschliesslich Umnutzen) von Bauten und Anlagen, wenn keine bau- oder umweltrechtlich relevanten Tatbestände betroffen sind
- bauliche Änderungen im Gebäudeinnern, die nicht mit einer baubewilligungspflichtigen Nutzungsänderung verbunden sind und nicht die Brandsicherheit betreffen
- bis zu 0,8 Quadratmeter grosse Parabolantennen, wenn sie die gleiche Farbe haben wie die Fassade, an der sie angebracht sind
- Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energie, wenn sie an Gebäuden angebracht oder als kleine Nebenanlage zu Gebäuden installiert werden und den kantonalen Richtlinien entsprechen
- bis zu zwei höchstens 0,8 Quadratmeter grosse Dachflächenfenster pro Hauptdachfläche
- das Abbrechen von baubewilligungsfreien Bauten und Anlagen
- bis zu 1,20 Meter hohe Einfriedungen, Stützmauern, Schrägrampen und Terrainveränderungen zur Umgebungsgestaltung bis zu 100 Kubikmeter Inhalt
- das Aufstellen mobiler Einrichtungen der bodenabhängig produzierenden Landwirtschaft (unbeheizte Plastiktunnel, Schutzabdeckungen für Kulturen und ähnliche Einrichtungen) während einer Dauer von bis zu neun Monaten pro Kalenderjahr
- Automaten sowie kleine Behälter mit bis zu zwei Kubikmeter Inhalt wie Robidogs, Kompostbehälter, Verteilkabinen und Ähnliches
- das Aufstellen von Fahrnisbauten wie Festhütten, Zirkuszelte, Tribünen sowie das Lagern von Material während einer Dauer von bis zu drei Monaten pro Kalenderjahr
- das Aufstellen während der Nichtbetriebszeit von einzelnen Mobilheimen, Wohnwagen oder Booten auf bestehenden Abstellflächen
- das Aufstellen einer kleinen Fahrnisbaute wie eine Verpflegungs- und Verkaufsstätte, eine Servicestation für Sport- und Freizeitgeräte oder ein Kleinskilift während einer Dauer von bis zu sechs Monaten pro Kalenderjahr
- das Abstellen von Fahrzeugen von Fahrenden während einer Dauer von bis zu sechs Monaten pro Kalenderjahr an Standorten, welche die Gemeindebehörde mit Zustimmung der Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer zur Verfügung stellt
- unterirdische Leitungen für Hausanschlüsse
- Pflanzungen
- mobile Lüftungs-, Kühl- und Klimaanlagen
- mobile Heizungen im Freien für Terrassen, Rampen, Sitzplätze und dergleichen»
Weitere Details zu den einzelnen Bauten und Anlagen, die gemäss Art. 6 Abs. 1 BewD bewilligungsfrei sind, erfährt man in der Information (Praxishilfe) «Baubewilligungsfreie Bauten und Anlagen nach Artikel 1b BauG» der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion des Kantons Bern, wobei dort nichts zu den baubewilligungsfreien Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energien gemäss Artikel 6 Abs. 1 Bst. f BewD ausgeführt ist, da es dazu eigene Richtlinien vom Regierungsrat gibt: «Bewilligungsfreie Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energien» vom 28. Januar 2015 (RRB 75/2015).
Baubewilligungsfreie Strassenreklamen gemäss Art. 6a Abs. 1 BewD
Gemäss Art. 6a Absatz 1 BewD bedürfen folgende Strassenreklamen keiner Baubewilligung:
- «Firmenanschriften oder Firmensignete an oder vor den Fassaden bis zu insgesamt 1,2 Quadratmetern pro Gebäudeseite, wenn sie flach an der Fassade angebracht oder unmittelbar vor der Fassade parallel dazu aufgestellt werden
- innerorts eine Fahne mit Firmenanschrift oder Firmensignet pro Betrieb
- Fahnen und Flaggen, sofern es sich um Hoheitszeichen handelt
- Reklamen in Schaufenstern und Schaukästen
- Eigenreklamen an oder vor den Fassaden bis zu insgesamt 1,2 Quadratmetern pro Gebäudeseite, wenn sie flach an der Fassade angebracht oder unmittelbar vor der Fassade parallel dazu aufgestellt werden
- Angebotstafeln beim Eingang von Betrieben, sofern sie nur während der Geschäftsöffnungszeiten aufgestellt sind
- bis zu insgesamt 1,2 Quadratmetern grosse Werbeanlagen für den Verkauf oder für Dienstleistungen auf landwirtschaftlichen Produktionsbetrieben
- innerorts auf Baugrundstücken Unternehmerreklamen sowie Vermietungs- und Verkaufsreklamen bis zu insgesamt zwölf Quadratmetern ab Baubeginn bis sechs Monate nach Bauabnahme
- innerorts Reklamen für Veranstaltungen, Wahlen und Abstimmungen während höchstens sechs Wochen vor und bis fünf Tage nach der Veranstaltung»
Weitere Details zu den einzelnen Strassenreklamen, die gemäss Art. 6a Abs. 1 BewD bewilligungsfrei sind, erfährt man in der Information «Reklame» BSIG 7/725.1/8.1 vom 20. Juli 2018.
Einschränkung der Baubewilligungsfreiheit
Die in Artikel 6 und Artikel 6a BewD aufgeführten Bauvorhaben, die ausserhalb der Bauzone liegen, können unter bestimmten Umständen dennoch der Pflicht zur Baubewilligung unterliegen, wie sich aus Artikel 7 Absatz 1 BewD ergibt:
«Liegt ein Bauvorhaben nach Artikel 6 oder 6a ausserhalb der Bauzone und ist es geeignet, die Nutzungsordnung zu beeinflussen, indem es zum Beispiel den Raum äusserlich erheblich verändert, die Erschliessung belastet oder die Umwelt beeinträchtigt, ist es baubewilligungspflichtig.»
Beispielsweise können Terrainveränderungen, die durch den Einsatz von Rotor-Steinbrechern entstehen, gemäss Artikel 7 Absatz 1 BewD baubewilligungspflichtig sein.
Auch innerhalb der Bauzone kann es gemäss Artikel 7 Absatz 2 BewD Einschränkungen der Baubewilligungsfreiheit von Artikel 6 und 6a BewD geben, etwa wenn das Bauvorhaben neben dem entsprechenden Schutzinteresse den Gewässerraum betrifft, den Wald, ein Naturschutzgebiet oder ein Ortsbildschutzgebiet, ein Naturschutzobjekt, ein Baudenkmal oder dessen Umgebung. In der Praxis zählen auch Landschaftsschon- und Landschaftsschutzgebiete dazu.
Ausserdem besteht gemäss Artikel 7 Absatz 3 BewD eine Baubewilligungspflicht für Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energie im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe f BewD an schützenswerten und an erhaltenswerten Baudenkmälern nach Artikel 10c Satz 1 des Baugesetzes.
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Andere Bewilligungen müssen eingeholt werden
Sollte ein Vorhaben tatsächlich baubewilligungsfrei sein, stellt Artikel 1b BauG aber klar, dass die anwendbaren Vorschriften eingehalten und andere Bewilligungen als die Baubewilligung trotzdem eingeholt werden müssen.
Wenn Brandsicherheit betroffen: bewilligungspflichtig
Sollten Änderungen im Gebäudeinneren vorgenommen werden, ist eine Bewilligungspflicht schon dann gegeben, wenn die Brandsicherheit betroffen ist, wie sich aus Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe d BewD ergibt. Die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion des Kantons Bern hat in ihrer Information (Praxishilfe) «Baubewilligungsfreie Bauten und Anlagen nach Artikel 1b BauG» eine nicht abschliessende Liste von Bauvorhaben veröffentlicht, bei denen die Brandsicherheit sicher betroffen ist:
- «Umnutzung von Gewerbe- und Industrieräumen
- Ausbau und Nutzungserweiterungen in Dachgeschossen
- Nutzungsänderungen, die die Brandgefährdung erhöhen (Funken erzeugende Arbeiten, Umgang mit brennbaren Flüssigkeiten oder gefährlichen Stoffen, bei Staubentwicklungen usw.)
- Veränderung an Gebäuden mit erheblichem Publikumsverkehr (> 300 Personen)
- Veränderungen, die Fluchtwege betreffen (Notausgänge, Treppenhäuser, Fluchtkorridore usw.)
- Bauliche Änderungen in Hotels und Restaurants
- wesentliche Veränderungen an Gastgewerbeküchen und lufttechnischen Anlagen
- Sanierungen und Umbauten von Hochhäusern (Fassaden, haustechnische Anlagen usw.)
- Erstellung und wesentliche Änderungen von Aufzugsanlagen (Lifte, Rolltreppen, Feuerwehraufzüge und Spezialförderanlagen)
- Überdeckungen von Innenhöfen und Atrien
- Veränderungen von Doppelfassaden
- Schliessen von offenen Laubengängen und Passagen
- Lagerung und Umschlag von Flüssiggas (Tanks, Flaschenbatterien, Abfüllanlagen, Flaschenlager usw.)
- Umstellung von Feuerungsanlagen (Öl auf Holz, Öl auf Gas, Holz auf Gas, Gas auf WKK [Wärmekraftkoppelung] usw.)
- Einbau von zusätzlichen Feuerstellen (z. B. Cheminées, Kachel- und Speicheröfen, Kochherde, Warmluftheizungen)
- Änderung oder Neuinstallation von Abgasanlagen
- Erstellung und Änderungen von Abgasanlagen für Verbrennungsmotoren oder von mobilen sowie stationären Lufterhitzern
- Einbau von Tanks für Heizöl oder andere Brennstoffe (Silos, Bunker usw.)
- Angebot von landwirtschaftlichem Tourismus mit Beherbergung ab 20 Personen oder mehr»
Beratung durch Rechtsanwalt für Baurecht
Ob die Errichtung oder Änderung einer bestimmten Baute oder Anlage tatsächlich baubewilligungsfrei ist, sollte im Rahmen einer Einzelfallprüfung beurteilt werden, und zwar am besten durch einen Rechtsanwalt, der auf das Baurecht spezialisiert ist. Das ist auch deswegen ratsam, weil nicht nur quantitative Aspekte für die Frage eine Rolle spielen, ob Anlagen oder Bauten ohne Baubewilligung errichtet beziehungsweise geändert werden dürfen, sondern nach der Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichtes in erster Linie qualitative Aspekte. Das führt dazu, dass bestimmte Vorhaben vor allem wegen des vorgesehenen Betriebs und weniger wegen ihrer Konstruktion baubewilligungspflichtig sind.
In der Kanzlei Morandi Schnider Rechtsanwälte und Notare sind mehrere Rechtsanwälte für Baurecht tätig, von denen Sie sich kompetent beraten lassen können, um Ihr Anliegen zu klären. Kontaktieren Sie uns einfach telefonisch, per E-Mail oder über unser Kontaktformular, um einen Beratungstermin zu vereinbaren:
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